Kreativität & Nachhaltigkeit – Berlin mal ganz anders entdecken

Inspiration geben, Übersicht schaffen und Netzwerke unterstützen – das steht in der Veröffentlichung „Creative Environment – Kreative Umwelt“ an erster Stelle. Herausgegeben wird das Handbuch für Kunst- und Nachhaltigkeits-Initiativen in Berlin von der Asia-Europe Foundation, und unterstützt unter anderem von der Schweisfurth Stiftung. Ziel des zweisprachigen Guides ist es, Menschen zu inspirieren, innovative Projekte vorzustellen, eine Übersicht potentieller KooperationspartnerInnen für KünstlerInnen und UnternehmerInnen zu schaffen, aber auch das internationale Netzwerk in Berlin zu stärken.

Wundern, Wollen, Wirken

Dr. Camilla Bausch, Direktorin des Ecologic Institutes und (Mit-)Initiatorin des Handbuchs, denkt Kunst und ökologische Nachhaltigkeit zusammen, denn „bei der Herausforderung, die Transformation hin zu einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft zu gestalten, brauchen wir innere Reflektion, kreative Ansätze, mutige Visionen von Zukünften und Zusammenwirken jenseits der gängigen Grenzen in den Köpfen und Strukturen.“

Aufmerksamkeit und Ermächtigung…

Genau dies passiert beispielsweise im Kochbuch „Die Küche der Achtsamkeit“, in dem Tainá Guedes (Entretempo Kitchen Gallery) die Aufmerksamkeit auf die Lebensmittelverschwendung im Haushalt lenkt. Ein wichtiger Hebel für Veränderung: Jährlich landen in Deutschland rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Tonne, global sind es etwa 1,3 Milliarden Tonnen! So nutzt die Künstlerin und Köchin „Kunst und Essen als Werkzeug für Aktivismus“ für einen „positiven Wandel“. Mit ihrem Kochbuch gibt Tainá Guedes Tipps für den Alltag und zeigt damit Wege zu einem achtsamen, nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln in der eigenen Küche auf.

…mit Pflanzen, Musik & Kunst

13 vielseitige, innovative Menschen und von Ihnen geschaffene Orte des Wandels entdeckt der Leser im Guide – vom bekannteren Urban Gardening Phänomen Prinzessinnengärten über das groovige Orchester des Wandels bis hin zur künstlerischen Szene in der Entretempo Kitchen Gallery.

Der Motor: Motivation

Ideen, Pioniergeist und Energie, davon leben diese Initiativen des Wandels. Dabei pocht beispielsweise Marco Clausen (Prinzessinnnengärten) auf einen sozial-ökologischen Wandel: „Nur unsere Kohlenstoffemissionen zu verringern, reicht nicht aus… Der Wandel wird nicht davon kommen, dass unser kapitalistischer Markt nachhaltiger wird. Wir müssen uns neu organisieren und radikaler denken, als nur Veränderungen innerhalb des Systems durchzuführen.“ Für ihn ist klar, dass alles ineinander greift – die innere Haltung, der gesellschaftliche Kontext, die Politik – und natürlich Kunst und Nachhaltigkeit.

Im Rahmen von „Creative Responses to Sustainability” wurden in der Vergangenheit von culture360 bereits Guides für Singapur, Korea und Indonesien herausgegeben.

Wie Raumpioniere Dörfer zum Blühen bringen

In Bad Alexandersbad in Oberfranken, kurz vor der tschechischen Grenze, beträgt das Durchschnittsalter der Einwohner 57 Jahre. Für die Region prognostiziert die Landesregierung in den nächsten 10 Jahren einen Bevölkerungsrückgang von 5 -10 Prozent. Die Folge:  Ortskerne verwaisen. Um trotzdem noch Investoren und junge Familien anzulocken, werden immer mehr Neubaugebiete ausgewiesen. Die gewachsene Dorfstruktur verschwindet.
Wie man diesen Problemen entgegenwirken kann, sollte die Tagung „Landgemeinden im Aufbruch“  im Frühjahr 2016 zeigen. Im Zentrum der Tagung standen sogenannte „Raumpioniere“ aus Oberfranken und der Oberpfalz. Das sind Bürger, die sich in Eigeninitiative und ehrenamtlich für eine lebenswerte Neugestaltung ländlicher Gemeinden einsetzen. Auch die Schweisfurth Stiftung  unterstützt solche Raumpioniere, beispielsweise im Rahmen des Projekts DorV UG.

Lernen von Raumpionieren
Anliegen der Veranstaltung „Landgemeinden im Aufbruch“: Entscheider aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft mit  den Raumpionieren zusammenzubringen. Dazu hatten die ökologische Akademie und das Zentrum für nachhaltige Kommunalentwicklung nach Bad Alexandersbad geladen. Hier wurden zahlreiche Praxisbeispiele für eine Wiederbelebung dörflicher Strukturen vorgestellt.

Ein experimenteller Dorfladen in Oberfranken
Ein von Raumpionieren ins Leben gerufenes Projekt ist beispielsweise Dola, der Dorfladen in Thierstein, einer Gemeinde mit 1100 Einwohnern im oberfränkischen. Das Dorf hat schon seit Jahren keinen Lebensmitteleinzelhändler mehr vor Ort – bei der Einwohnerzahl rentiert sich ein klassischer Laden einfach nicht. Deshalb  finanziert sich der neue Dorfladen durch den Verkauf von Anteilen an die Thiersteiner Bürger. Die Eröffnung ist für Mai 2016 geplant.

Ein sozialer Kulturort in Niederbayern
Auch die Mitglieder des Vereins  Eiskeller Haindling e.V. haben das Schicksal ihres Dorfes selbst in die Hand genommen. Mit der Schließung des Wirtshauses und des Kramerladens waren die letzten sozialen Treffpunkte in Haindling,  das zu Stadt Geiselhöring  gehört , verloren gegangen. 2004 schlossen sich die Bewohner des Ortes im Verein zusammen. Sie bewegten die Stadtverwaltung dazu, den ehemaligen Eiskeller in Haindling zu kaufen und zu sanieren. Heute betreibt der Verein in dem Gebäude ein Café und einen Laden. Auch Lesungen, Konzerte und Seminare organisieren die Mitglieder in den Räumen und sorgen so für ein vielfältiges kulturelles Angebot. Das Konzept trägt sich und erwirtschaftet sogar Überschüsse, die ebenfalls für einen sozialen Zweck zum Einsatz kommen. Eiskeller Haindling e.V. finanziert mit dem Erlös acht Patenschaften für Schülerinnen in Tansania.

Ein Konzerthaus in der Oberpfalz
Das bisher größte von Raumpionieren entwickelte Projekt ist das Konzerthaus Blaibach. Auch in Blaibach gab es einen verwaisten Ortskern, immer weniger junge Menschen und rückläufige Übernachtungszahlen im ortsansässigen Hotel. Die Blaibacher beschlossen, ihre Gemeinde mit Hilfe von innovativer Architektur und hochkarätigen Musikevents wieder attraktiv zu machen. 2014 wurde das Konzerthaus Blaibach eröffnet. Es ist eines der modernsten Konzerthäuser Europas mit 200 Sitzplätzen. Rund 50 ausverkaufte Konzerte finden hier pro Jahr statt. 1,6 Millionen Euro hat der Bau gekostet, dessen Architektur mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnet wurde. Finanziert wurde das Projekt von Land und Kommune, von Stuhlpaten, Sponsoren und Spendern. Heute kommen Besucher aus der ganzen Welt in die Oberpfalz, um Musik im Vorzeige-Konzerthaus zu hören und das Gebäude zu besichtigen.

Expertenvorträge zur nachhaltigen Entwicklung in ländlichen Räumen
Neben Arbeitsgruppen und einem Marktplatz der Raumpioniere bot die Tagung in Bad Alexandersbad drei Experten-Vorträge.  Manfred Miosga, Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Bayreuth, zeigte in seinem Vortrag, dass sogenannten peripheren ländlichen Räumen eine „doppelte Peripherisierung“ drohe. Zum einen schwinde die ländliche Infrastruktur, zum anderen wanderten deshalb die Einwohner in die Städte ab. Moritz Kirchesch vom Netzwerk Ländliche Räume (BLE) stellte eine kontroverse These auf: Der Breitbandausbau sei viel weniger wichtig als die Innenentwicklung der Dörfer und die Entwicklung von alternativen Wohn- und Nahversorgungskonzepten. Inspirierende Projekte von Raumpionieren wie den Badebus Langenfeld, eine mobile Zahnärztin in Brandenburg und das Amvieh-Theater stellte schließlich Kerstin Faber vom Projektbüro für Raumentwicklung, Politikberatung und Kommunikation vor.

Ein unternehmerisch denkender Bürgermeister
Die Tagung bildete zugleich den Startschuss eines Beratungsprojekts der Universität Bayreuth für die Gemeinde Bad Alexandersbad statt. Als  Berater engagieren sich hier sechs Geologiestudent*Innen und ihr Professor. Am Vorabend der Tagung berichtete Bürgermeister Peter Berek interessierten Tagungsteilnehmern von Initiativen, die er in seiner Gemeinde bereits umgesetzt hat, um sie für junge Menschen attraktiver zu machen. Beispielsweise wurde hier einer der erste 24-Stunden-Kindergarten gegründet. Eltern, die im Schichtdienst arbeiten, können ihre Kinder nun bereits ab 6 Uhr morgens betreuen lassen.

Die ökologische Neuorientierung eines Kurorts
Das bisher teuerste Projekt ist die Erweiterung des Bäderhauses von Bad Alexandersbad um eine Therme, die noch in diesem Jahr fertiggestellt wird.  Sie soll vollständig mit regenerativen Energiequellen betrieben werden. Damit bildet sie den Kern der neuen „alternativen“ Ausrichtung des Kurortes  nach dem Motto „Gesundheit und Energie aus der Natur, mit der Natur, für die Natur“. Auch die Umstellung auf LED-Leuchten in der gesamten Gemeinde (als erste Gemeinde Deutschlands) ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Fazit: Kommunen brauchen Flexibilität
Die meisten der auf der Tagung vorgestellten Projekte wurden nicht von Bürgermeistern und Verwaltung initiiert und verwaltet. Dennoch brauchen die Ideen der Raumpioniere die Mitarbeit  der Gemeinden. Neben der notwendigen finanziellen Unterstützung von Kommune, Land oder EU braucht es auch die Bereitschaft in den Ämtern,  ungewöhnliche neue Konzepte zu akzeptieren und zu fördern.

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