Artgerecht halten – stressfrei schlachten

“Wir verkaufen nur Fleisch von unseren eigenen Tieren. Unser Schlachthof ist nur 5 km entfernt.” Gerne werben kleine Höfe und Hofläden mit diesem Versprechen. Aber auch wenn die Tierhaltung artgerecht ist, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Das Leben eines Rindes mag vorbildlich gestaltet sein, die Schlachtung ist es oft nicht – auch nicht, wenn es nur 5 Kilometer bis zum nächsten Schlachthof sind. Häufig bedeutet sie Angst und Stress für das Tier. Die Alternative zur herkömmlichen Tötung im Schlachthof ist der Weideschuss – die stressfreie Schlachtung „aus heiterem Himmel”. Wie das geht, berichtet Agraringenieurin Katrin Juliane Schiffer.

Idyllisches Leben – und dann?
Es ist so ein friedliches Bild: Durch das Fenster des Hofladens sieht man auf der Weide Mutterkühe mit ihren Kälbern im Schatten der Bäume dösen. Auf dem Weg zum Laden fährt man kilometerlang an einer Weidefläche vorbei. Nur hin und wieder mal entdeckt man eine Gruppe fast ausgewachsener Ochsen aus dem Gebüsch auftauchen und zur Tränke schlendern. ”Weidefleisch aus extensiver Freilandhaltung”, steht auf einem Schild an der Hofeinfahrt. Etwas Besseres gibt es doch gar nicht, oder? Nein, eigentlich nicht. Wenn da nicht der Schlachttag wäre.

Tabu-Thema Schlachtung
Viele Landwirte von kleineren Betrieben transportieren ihre Rinder selbst bis zum Schlachthof, andere Landwirte lassen ihre Tiere abholen. Nur wenige jedoch haben beim Schließen des Anhängers das Gefühl, dass das Einfangen und Verladen richtig gut ging. Denn je seltener die auf der Weide artgerecht aufgewachsenen Tiere menschlichen Kontakt hatten, je unbekannter ihnen räumliche Enge ist, umso schwieriger und belastender ist die Prozedur für alle Beteiligten. Was dann nach dem Transport folgt, wollen Tierhalter und Konsumenten meist gar nicht so genau wissen: Die Blackbox Schlachthof. Die wenigsten Tiere werden von ihren Aufzüchtern tatsächlich bis in den Tod begleitet.

Smell of fear
Rinder sind gewohnheitsliebende, sensible Tiere. Besonders ausgeprägt sind ihre „Antennen”, mit denen sie die Angst von Artgenossen wahrnehmen. Gerät ein Rind zum Beispiel durch die Nähe zu fremden Artgenossen oder ungewohnte Geräusche in Stress und weigert sich, in einem der Treibgänge auf dem Weg zur Betäubungsfalle weiter vorwärts zu gehen, sind die nachfolgenden Rinder sofort alarmiert: Da stimmt etwas nicht! Raus hier! „Smell of fear” nennt die Wissenschaft dieses Phänomen, bei der Geruchsbotenstoffe in Speichel, Urin und Schweiß als Übermittler der Angst dienen.

Pionier für stressfreie Schlachtung
“Das Schlachten muss doch auch im gewohnten Umfeld und stressfrei gehen! Das sind wir den Tieren schuldig”, dachte sich bereits vor etlichen Jahren der schwäbische Landwirt Ernst Herrmann Maier. Er begann einen erbitterten Kampf gegen die örtlichen Behörden für die Hofschlachtung seiner Rinder per Gewehrschuss. Diese Auseinandersetzung sollte seinen Hof an den Rand des Ruins treiben, hat aber erheblich dazu beigetragen, dass der deutsche Gesetzgeber später nachgab. Seit 2011 dürfen entgegen einer anders lautenden EU-Regelung Rinder aus Freilandhaltung am Haltungsbetrieb betäubt und getötet und das Fleisch der Tiere vermarktet werden.

Die Kugelschussmethode
Bereits im Vorfeld der gesetzlichen Verankerung begann ich an der Uni Kassel Witzenhausen, u.a. mit Fördermitteln der Schweisfurth Stiftung, ein Forschungsprojekt zur Tötung von Rindern per Kugelschuss. Anfang dieses Jahres schloss ich das Projekt mit der Publikation meiner Doktorarbeit „On-farm slaughter of cattle via gunshot method” (Shaker) ab. Dafür untersuchte ich die Betäubungsqualität durch den Kugelschuss sowie die Fleischqualität so geschlachteter Rinder. Zudem erarbeitete ich Vorschläge für eine sichere Anwendung der Kugelschussmethode in der Praxis. Denn: Das allerwichtigste ist ein ausgezeichneter Schütze. Nur ein Präzisionsschuss in den Kopf, bei dem möglichst das Projektil im Schädel verbleibt und somit größtmögliche Blutungen im Stammhirnbereich auslöst, kann einen plötzlichen Tod aus „heiterem Himmel” gewährleisten.

Die Herde bleibt ruhig
Interessant ist, dass die umstehenden Tiere sich am Zusammenbrechen des Weidekumpels neben ihnen überhaupt nicht stören. Dieser hat keine Gelegenheit, Stresssignale auszusenden und damit die Herdenmitglieder zu beunruhigen. Ein kurzes Zusammenzucken beim Knall, dann folgt überwiegend Desinteresse. Die erhobenen Blutwerte beweisen, was man mit bloßem Auge gesehen hat: Gelassen gehen die restlichen Tiere aus dem Schießpaddock zurück auf die Weide und kommen später arglos für den Abschuss eines weiteren Tieres in den Schießpaddock zurück. Das geschossene Tier wird zur sofortigen Entblutung mit dem Frontlader hochgezogen. Für die Ausweidung und Verarbeitung wird dann also das bereits getötete Tier zum Schlachthof transportiert – ein konsequenter Abschluss artgerechter Nutztierhaltung.

Die Kunden schätzen stressfreies Fleisch
Am Bioland-Hof Bunde Wischen e. V., meinem Partnerbetrieb im Kugelschussprojekt, werden heute alle Rinder per Kugelschussmethode geschlachtet. Zwei Tiere pro Woche, ohne jegliche Angst. Das wissen auch die Kunden zu schätzen: Die Nachfrage nach dem Kugelschuss-Fleisch ist durch das Angebot kaum zu decken. Auch von anderen Betrieben, die die Kugelschussmethode praktizieren, gibt es sehr erfreuliche Rückmeldungen. Ein Modell, das Schule machen könnte: Meine Doktorarbeit ist international von Interesse und trägt hoffentlich dazu bei, auch in anderen Ländern die Einführung der professionellen Kugelschussmethode zu erleichtern.

Zum Weiterlesen:
Katrin Juliane Schiffer: On-farm slaughter of cattle via gunshot method. Shaker Verlag 2015.

Zum Anschauen:
Hier finden Sie ein Video, das die Kugelschuss-Methode anschaulich erklärt.

Die Autorin
Katrin Juliane Schiffer (*1979) aus Quakenbrück, Norddeutschland, ist Agraringenieurin mit mehrjähriger Praxiserfahrung in der ökologischen Landwirtschaft. Nachdem eine christlich geprägte Ehrfurcht vor dem Leben schon früh zum Leitmotiv geworden war, konnte sie ihre Promotion an der Universität Kassel einem Herzenswunsch widmen – dem würdevolleren Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren, insbesondere am Tag der Schlachtung. Katrin Juliane Schiffer lebt mit ihrer Familie auf einem kleinen Hof in Nordschweden.

Headerbild: © Gerd Kämmer