Tierwohl

Das Dilemma der Tierärzte

Tierärzte sollen eigentlich dafür sorgen, dass Tiere gesund werden oder bleiben. Für viele landwirtschaftlich gehaltene Tiere können sie das aber kaum mehr leisten. Der Grund: Gesundheitliche Probleme, die den Tieren „angezüchtet“ sind. Rinder, Schweine und Geflügel werden krank, weil sie schon genetisch auf Krankheiten vorprogrammiert sind. Das liegt an einer Zucht, die ohne Rücksicht auf Tiergesundheit nur mit Blick auf maximalen Fleisch- oder Eierertrag arbeitet. Bis zur Erbarmungslosigkeit durchrationalisiert ist das System, in dem Tiere keinen Namen mehr haben, sondern nur noch einen Preis.

Gegen falsche Zucht helfen keine Medikamente
Masthähnchen werden beispielsweise auf möglichst schnelle Gewichtszunahme gezüchtet. In den sieben Wochen seines Lebens versechzigfacht ein solches Tier sein Gewicht. Dabei ist sein Körper kaum in der Lage, diese enorme Fleischlast zu tragen − Knochendeformationen und die ständige Überlastung des Herz-Kreislaufsystems sind die Folge. Dass ein Tierarzt hier nicht mehr helfen kann, liegt auf der Hand.

Spagat zwischen Ökonomie und Tierwohl
Viel zu lange wurde die Rolle der Zucht für die Tiergesundheit ignoriert, viel zu lange haben die Veterinäre das System schweigend mitgetragen. Tiermedizinerin Dr. Anita Idel beschreibt im aktuellen Heft der Zeitschrift TIERethik das krank machende System der industriellen Tierhaltung. Sie zeigt die Gratwanderung der Veterinäre zwischen Wegschauen und Hinsehen, zwischen moralischem Anspruch und ökonomischen Zwängen.

Tierärzte stützen das System
Idels Anklage: Die TierärztInnen haben zugelassen, dass sich bei den sogenannten Nutztieren die Schere zwischen Leistung und Gesundheit immer weiter öffnet. Vermeintliche Lösungen können den Schaden nur begrenzen. Meistens sind Krankheitsanfälligkeit und Stress bei den Tieren eine Folge von Überforderung durch einseitige Zuchtziele auf Hochleistung. Aber Forschung und Lehre beschränken sich bei der Suche nach Ursachen von Gesundheitsproblemen auf die Haltungsbedingungen und damit auf die Auslöser. Das besondere Dilemma der TierärztInnen: Sie sind für die alltäglichen Leiden der Tiere auch deshalb mitverantwortlich, weil sie fachlich gute Arbeit in einem kranken Agrarsystem leisten. Damit erhalten sie die Wettbewerbsfähigkeit dieses Systems − und sorgen so für dessen Überleben.

Dr. Anita Idel: TierärztInnen und landwirtschaftlich genutzte Tiere – ein systembedingtes Dilemma. In: TIERethik, 8. Jahrgang 2016/1, Heft 10, S. 34-52.

Headerfoto: Isabel Boergen; Schweine in Herrmannsdorf

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